Fotos der Ausstellungseröffnung am 7. November
Das Ende des ersten Weltkrieges hat in ganz Europa Brüche, Risse,
Abgründe, ja eine komplett neue Welt erschaffen. Gerade in den
Verliererstaaten musste man einen neuen Anfang finden, der alle
Gesellschaftsschichten betroffen hat. Die Schwierigkeiten waren enorm
und die Umstände vielfach lebensbedrohend:
- Hunger und Krankheit (spanische Grippe)
- Geld- und Devisenmangel, Inflation, Notgeld
- Neue Grenzen (z. B. zur neu entstandenen Tschechoslowakei)
- Wirtschaftliche Schwierigkeiten – Verlust der traditionellen Absatz- und Liefermärkte
- Ehemalige Werte, die nun wertlos sind, z. B. Kriegsanleihen, Sparbücher, Kronenwährung, Herrscherhaus, Kaiser
- Komplette gesellschaftliche Umschichtung – Ansehen der Beamten und des Militärs, Stellung des Bürgertums
- Werteänderung in der Kunst
Das Jahrhundert, das taumelnd begonnen hat, war innerhalb von nur
vier Jahren traumatisiert. Daraus entstanden Fehlentscheidungen und
Falscheinschätzungen, die nur innerhalb eines Jahrzehnts zur nächsten
Katastrophe geführt haben.
1918-1924: Freistadt – was ist übrig geblieben?
Florian Gmainer, ein Lehrer im Freistädter Marianum, tut sich mit der
neuen Situation schwer. Ein Reich, sein Reich, ist untergegangen. Dafür
hat er nicht gekämpft, dafür hat er nicht die Strapazen und die Gräuel
auf sich genommen, dass er von heute auf morgen als unbedankter Soldat
in seine Heimatstadt zurückkehren sollte. Er war jahrelang in den
Eiswänden der Dolomiten, er war am Isonzo und er war einer der ersten,
die beim Durchbruch dabei waren, die den Piave übersetzten und sich
anschickten Italien zu überrollen. Er wurde von der Geschichte
zurückgepfiffen in die Provinzstadt, wo er nun jede Nacht mit einem
geladenen Karabiner, den er aus Italien mitgebracht hatte, seine Schule
bewachte, damit am nächsten Morgen wieder normaler Unterricht abgehalten
werden konnte. Er fürchtete nämlich die Besetzung des Mühlviertels
durch die Ultratschechen, die als Grenze der neu gegründeten
Tschechoslowakei die Donau haben wollten. Und Freistadt sollte dann
Zahlov, nach der Flurbezeichnung Zaglau, heißen. Das alles wollte
Florian Gmainer mit allen Mitteln verhindern. Als es zu den
Grenzverhandlungen zwischen der tschechoslowakischen Repubilk und der
Republik Österreich nach dem Vertrag von St. Germain kam, trat dieser
aktive Lehrer wieder hervor. Er konnte auf Grund historischer Dokumente
beweisen, dass die Grenze zwischen dem Land ob der Enns und dem Kronland
Böhmen eine historische ist. Zahlreiche Dokumente hat er mit einem
Beamten der Bezirkshauptmannschaft Freistadt dafür herangezogen und – er
hat Recht bekommen! Die sogenannte “Maltschgrenze” wurde bilateral und
auch international anerkannt und hat noch heute Gültigkeit.
Was blieb noch von der einst großen Donaumonarchie: nicht viel oder
gar nichts – zumindest was den ländlichen Raum betraf. Notgeld ohne
Wert, physisch kranke Heimkehrer, eine verheerende Epidemie, die sowohl
Kinder als auch Alte hinweggerafft hat, eine Zukunft ohne Perspektive.
Die “Urkatastrophe”, wie der erste Weltkrieg heute bezeichnet wird, hat
alles und jeden umgekrempelt. Vier Jahre und eine neue Weltordnung oder
besser gesagt eine neue Weltunordnung ist entstanden. Davon wurden auch
das Mühlviertel und Freistadt nicht verschont.
In einer
Neujahrsbetrachtung zum Jahreswechsel 1918/19 schreibt der Präsident der
Nationalversammlung Franz Dinghofer: “Niemand von uns allen hat dieses
Ende des Weltkrieges vorausgesehen. Wir sind besiegt, trotzdem wir die
Schlachten gewonnen haben, trotzdem Russland, unser unmittelbarer
mächtigster Gegner, niedergeworfen, Serbien, Montenegro, Rumänien
erobert wurden und unsere tapfere Armee bis tief in die Heimat unseres
südlichen Gegners eingedrungen war. Ein scheinbar merkwürdiger
Zwiespalt, dem flüchtigen Beobachter unverständlich und doch bei näherem
Zusehen in der harten Logik der natürlichen Entwicklung begründet.”
Genau
das hatte auch Florian Gmainer im Sinn, als er einsam und im Finstern
seine Wachgänge in Freistadt absolvierte. Vielen Freistädtern und
Mühlviertlern war aber die neue Weltordnung, das Schicksal Südtirols,
die Situation im Burgenland, im Angesicht der eigenen Probleme
Nebensache. Die meisten Bürger standen der weiteren Entwicklung
lethargisch gegenüber – was zur nächsten Katastrophe geführt hat.
Dokumentation der Ausstellung im Digitalen Ausstellungsarchiv des forum oö geschichte